„Killer“spiele und die Ungerechtigkeit [Update 27.03.2009]

Meinen Vorsätzen zum Trotz bin ich nun doch in die aktuelle „Killer“spiele Diskussion hineingekippt und mußte mich bereits einige Male furchtbar aufregen. Wiedereinmal findet eine regelrechte „Hexenjagd“ auf einen in der Öffentlichkeit großteils unverstandenen Sündenbock statt, der sich von sich aus nicht wehren kann. Wer sich aber wehren kann sind WIR Spieler und Liebhaber von Videospielen, auch von solchen Medien, die Gewalt enthalten, die uns aber gegenteilig zu Behauptungen von sensationsgeilen Medien und sachlich inkompetenten Politikern NICHT zu gewaltbereiten Verbrechern, Psychopathen und Amokläufern werden haben lassen.

Hier nun einiges (Erfreuliches sowie Ärgerliches) zum Thema „Killer„spiele, das ich in den letzten Tagen gefunden habe, gefolgt von einem persönlichen Kommentar und laufend aktualisierten Links und Zitaten:

„Das Bemühen [des Bundesverbandes der Entwickler von Computerpielen],
die Diskussion um eine mögliche
Mitverursachung solch grauenvoller Taten wie des Amoklaufs von
Winnenden durch Killerspiele möglichst schnell zu beenden und wieder
zum virtuellen Spiel- bzw. Geldverdien-Alltag überzugehen, ist geradezu
entlarvend offenkundig… Und nicht nur nebenbei sei gesagt, dass es
ohnehin ein Armutszeugnis ist, wenn sich die Kreativität nahezu einer
ganzen Branche
weitgehend darin erschöpft, immer neuere, perversere
Techniken zur virtuellen Tötung von Menschen zu entwickeln.“

Zwar schränkt er ein, dass es keinen Beweis gebe, dass Spiele die
Hauptursache für derartige Geschehnisse sind,
alleine schon den
Möglichkeit für eine Mitursache genüge jedoch, um eine Beseitigung zu
nutzen
.

Die Welt wird nicht ärmer, wenn es keine
Killerspiele mehr gibt; niemand braucht sie, ganz im Gegenteil…
…Ein Amoklauf ist immer das Ende einer langwierigen Entwicklung. Und
Killerspiele dürfen bei einer solchen Entwicklung nicht länger
begünstigend wirken!““

Heini Schmitt, der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Hessen, auf ein Statement des Bundesverbandes der Entwickler für Computerspiele „G.A.M.E.„, welches sich gegen die neuerlichen Vorwürfe und Vebotsforderungen gewehrt hat.

www.gamestar.de/news/branche/1954720/deutsche_polizeigewerkschaft.html

„Bundespräsident Horst Köhler hat schärfere Bestimmungen für
gewaltverherrlichende Killerspiele gefordert. „Sagt uns nicht
der
gesunde Menschenverstand
, dass ein Dauerkonsum solcher Produkte
schadet? Ich finde jedenfalls: Dieser Art von ‚Marktentwicklung‘ sollte
Einhalt geboten werden“

„Es sei auch „eine Frage der Selbstachtung, welche Filme ich mir
anschaue, welche Spiele ich spiele, welches Vorbild ich meinen
Freunden, meinen Kindern und Mitmenschen gebe“



„In dem am Samstag in der „Winnender Zeitung“ veröffentlichten Schreiben
appellieren sie an die Politiker, Jugendlichen den Zugang zu Waffen zu
erschweren, Gewaltdarstellungen im Fernsehen einzuschränken und
Killerspiele zu verbieten.




„Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will nach dem Amoklauf eine
Initiative für ein schärferes Waffenrecht einbringen. Körting fordert,
dass Jäger und Sportschützen höchstens drei Gewehre besitzen dürfen. Er
regte zudem an, Jägern den Besitz von Pistolen zu verbieten.




„Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte ein härteres
Vorgehen gegen Computer-Killerspiele,
da die freiwillige
Selbstkontrolle der Spieleindustrie nicht gut genug funktioniere
. Die
Familien von fünf getöteten Schülern hatten sich in einem offenen Brief
an Bundespräsident Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und
Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) gewandt
und
Konsequenzen aus der Tat gefordert.

www.heise.de/newsticker/Bundespraesident-will-schaerfere-Bestimmungen-fuer-Killerspiele

„Bayerische Politiker treffen sich zum Computerspieleabend: Einführung in die Materie „Computerspiel“ auf parlamentarischer Veranstaltung.“



„Die Spielekompetenz als Bestandteil der Medienkompetenz wird für
Eltern, Lehrer, Jugendliche und Politiker immer wichtiger. Ich halte es
daher für dringend erforderlich, dass wir uns intensiv und konkret mit
dem Phänomen Computerspiele auseinandersetzen“

www.golem.de/0903/65963.html

„FPÖ-Chef Strache sieht weiterhin keinen Grund für ein strengeres
Waffengesetz. 99% aller Morde würden mit illegalen Waffen stattfinden,
sagte Strache im Ö1-Journal zu Gast. Weder Verschärfung noch
Liberalisierung könnten verrückte Amokläufer aufhalten. Allerdings will
Strache Einschränkungen bei gewalttätigen Computerspielen und Videos.“

Heinz Christian Strache (FPÖ) im Ö1 Mittagsjournal über Lockerung des Waffengesetzes und Verbot von Killerspielen (Audiostream).

„Fünf Minuten, nachdem es die ersten Meldungen über den Amoklauf in
Winnenden gab, liefen im Fernsehen schon Bilder aus einem sogenannten
„Killerspiel“. War das ein billiger Reflex – oder sind Ego-Shooter
gefährlich? Eine Frage, zu der wir heute im Blue Moon eure Meinung
hören wollen.“

In einer Stunde und 40 Minuten beschäftigt sich die Radiosendung „Blue Moon“ mit dem Thema „Killer“spiele und hat dazu zahlreiche interessante Gesprächspartner zu Gast. Download: RadioFritz – Der Killerspiele Blue Moon

„Liebe Videospiel-Freunde,



ich finde, dass die Videospiel-Fans zu wenig in
der momentanen Killerspieldiskussion auftauchen. Deshalb habe ich einen
Vorschlag für einen offenen Brief an Medien, Politik und Eltern verfasst. Ich
würde mich freuen, wenn Ihr den nach Euren wünschen ändert und
weiterverbreitet.

gefuehlskonserve.de (podcast-download)
Kommentar:

Erstmal will ich hervorheben, wie sehr ich den Begriff „KILLER“spiele hasse. Wie in der „Blue Moon“ Sendung schon richtig bemerkt, trägt diese Wortbildung keineswegs zu einer sachlichen und vernünftigen Auseinandersetzung mit dem Thema bei, weil er bei jeder Erwähnung automatisch negative Assoziationen heraufbeschwört. Warum sind gewalttätige Actionfilme keine „KILLERfilme“, Musik mit gewalttätigen Inhalten keine „KILLERmusik“, Bücher mit selbigen Inhalten keine „KILLERbücher“ etc? Nein, dieser rein von den Medien erschaffene und verbreitete Begriff ist in der aktuellen Diskussion sicher nicht von Vorteil.

Was mich gerade etwas verzweifeln lässt, ist die scheinbare Erkenntnis, dass unsere ach so moderne Gesellschaft keineswegs das Mittelalter hinter sich gelassen hat, denn Hexenjagden finden offensichtlich noch immer statt: Es ist schließlich einfacher und angenehmer, ein leichtes und offenbar eindeutiges Opfer zu suchen und zu finden, diesem dann unreflektiert alle Schuld aufzubürgen und die Sache abzuhaken. Vor allem wenn die Problematik kompliziert, vielschichtig und tiefgründig ist, die Auseinandersetzung damit also zeit- und energieaufwändig wäre, und voraussetzen würde, eigene, über die jahre festgefahrene Vorurteile und Weltbilder zu hinterfragen und womöglich neu zu ordnen. Aber nein, da ist es schon einfacher, man verbrennt die Hexe doch einfach, oder?!

Zwei Ausagen ließen mich in den letzten Tagen am meisten Verzweifeln: Die erste wäre der bereits oben genannte Hessische Polizeigewerkschafter, der „Zwar einschränke, dass es keinen Beweis gebe, dass Spiele die
Hauptursache für derartige Geschehnisse sind, aber meine, dass
alleine schon die
Möglichkeit für eine Mitursache genüge, um eine Beseitigung zu
nutzen
.„. Ich meine, was soll denn das bitte heißen?! Wenn man ohne einer Grundlage jeglicher Beweise, und nur auf potentielle Möglichkeiten für Mitursachen berufen Dinge verbietet und verteufelt, dann heißt das für mich persönlich auf der einen Seite „MITTELALTER“ und auf der anderen „ZENSUR“. Dahinter verbirgt sich eine gefährliche Doppelmoral: Schließlich ist es mehr als felsenfest bewiesen, welchen Schaden Alkohol anrichten kann und wie viele unschuldige Menschen täglich (!!!) durch alkoholisierte Unfallfahrer ihr Leben lassen müssen. Hat man deswegen den Alkohol verboten? Genau dieser „bietet aber die Möglichkeit als Mitursache für schreckliche Ereignisse“. Oder verbietet man schnelle Autos, weil diese zum Rasen verleiten, und Menschen damit großen Schaden anrichten können?!

Aussage Zwei war der vom Deutschen Bundespräsidenten angesprochene „Gesunde Menschenverstand„. Was bitte soll das sein?! Der „gesunde Menschenverstand“ ist das gefährlichste Pseudo-Argument überhaupt. Meiner Meinung nach ist ist der „gesunde Menschenverstand“ nur die Summe der am verbreitetsten Vorurteile. Was „sagt einem“ der gesunde Menschenverstand? Dass Frauen für die Küche und fürs Kinderkriegen gemacht sind? Dass Ausländer im eigenen Heimatland nichts verloren haben? Dass Schwarzafrikaner nur deshalb zu „uns“ kommen, um hier ihre Drogen verkaufen zu können, und sowieso alles Verbrecher sind? Dass Leute, die brutale Medieninhalte konsumieren, automatisch ebenso zur Brutalität neigen und nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können? Sagt einem der „gesunde Menschenverstand“ dann nicht auch, dass alle Kinder, die jemals „Hänsel und Gretel“ gehört haben, automatisch alte Frauen, die ihnen nicht ganz geheuer sind, in Öfen verbrennen müssten? Und dass alle Leute, die Gefallen daran haben, sich bei Paintball-Spielen mit Farbbällen zu attackierenn, auch keine Skrupel haben müssten, mit wirklichen Waffen auf Menschen zu schießen?

Klar, der letzte Absatz war offensichtlich sehr überspitzt. Aber damit will ich nur auf die Gefahr hinweisen, sich leichtfertig auf den so genannten „gesunden Menschenverstand“ zu berufen: Denn wenn sogar ein hoher Politiker wie Herr Köhler diesen „Menschenverstand“ in aller Öffentlichkeit als scheinbares Argument gegen ein Thema verwendet, von dem er höchstwahrscheinlich nicht den blassesten Schimmer hat, sehe ich schwarz für einen baldigen Wechsel zur Imagebesserung von Videospielen.

Doch zu sagen „Die Politiker und Journalisten sind alle dumm und wir Videospieler sind so arm“, und diesen Kommentar zu beenden, wäre auch zu einfach. Ich würde mich im Endeffekt auch nicht viel besser verhalten als die von mir „Angeklagten“. Man muss schon erkennen, dass es sich hier um ein wahnsinnig schwieriges Thema handelt. Es ist nämlich höchst verständlich, dass eine unbedarfte Person, die zum ersten mal ein Spiel mit gewalttätigem Inhalt sieht, wahrscheinlich einmal schockiert ist. Ich kann das voll und ganz nachvollziehen! Der Gedanke liegt einfach Nahe, dass genussvoller Konsum von „abartigen“ Inhalten eine gewisse „Abartigkeit“ des Konsumenten voraussetzt. Und der nächste naheliegende Gedanke ist dann schon, dass dieser Genuss von künstlicher „Abartigkeit“ auch im realen Leben ein Genuss sein könnte. Sprich, wer auf Gewalt in Filmen/Spielen steht, müßte demnach auch im richtigen Leben Freude an Gewalt haben.

Doch so einfach ist es nicht. Das zeigt allein schon die Tatsache, wie viele Leute ich kenne, die brutale („abartige“) Inhalte lieben, aber trotzdem liebenswerte, harmlose und liebevolle Menschen sind. Die Frage

Warum mag ich Splatter und abartige Gewaltdarstellungen in Spielen und Filmen eigentlich, bin aber im richtigen Leben der friedliebendste Mensch überhaupt und muss mich schon beim Anblick einer überfahrenen Katze auf der Straße fast übergeben?!

habe ich mir persönlich nämlich schon oft gestellt und ich beschäftige mich auch schon länger mit deren Beantwortung.

Denn ich glaube, dass hier der Knackpunkt an der „Killer“spiele und Gewaltmedien Problematik liegt, und die menschliche Fähigkeit, Fiktion und Realtität klar voneinander zu trennen, viel zu sehr unterschätzt bzw sogar oft ignoriert wird.

Aber dazu mehr später, ich habe ohnehin vor, dieser Thematik einen eigenen Blogeintrag zu widmen.

Als Schlusswort zum eigentlichen Thema „Killer“spiele und deren vermeintlicher Schuld an schrecklichen Taten wie Amokläufen kann ich eigentlich nur sagen, dass es wichtig ist, dass wir Videospieler der Öffentlichkeit bewusst machen, dass wir keine gewaltbereiten Un(ter)menschen sind, die in ihren eigenen Welten jehnseits der Realtität hausen und nur darauf warten, Amok zu laufen und Blut zu vergießen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit!

lg

huma
UPATE [aktualisiert: 27.03.2009, 01.25 Uhr]

„Angesichts der Ereignisse und des schrecklichen Amoklaufs in Winnenden
und Wendlingen, bei dem 15 Menschen getötet wurden, können wir eine
solche Veranstaltung derzeit in unserer Stadt nicht akzeptieren“

Stuttgart untersagt E-Sports Wettbewerb: www.heise.de/newsticker

„Eines hat mir diese Episode aber gezeigt: Es ist keine Bösartigkeit und
kein Hass, der Politiker und Medien auf die Barrikaden gegen
Computerspiele treibt. Es ist schlicht und einfach die Tatsache, daß
diese Medien im Leben der genannten Personen einfach keinerlei Rolle
spielen und sie sie einfach grundlegend nicht verstehen. Das sind
Verbotsforderungen noch nicht mal aus Dummheit, sondern aus Naivität.“

Boris Schneider-Johne auf www.dreisechzig.net/wp/archives/1631

„Warum passieren Dinge? Und wie kann man sie
verhindern? Bei dieser Debatte ist es nur leider wieder so, dass
Videospiele einseitig als Ursache von Amokläufen dargestellt werden.
Die andere Perspektive fehlt in der Diskussion, die Seite, die die
Millionen von friedlichen Spielern vertritt und die sagt, wir wollen
nicht, dass Videospiele als Sündenbock herhalten müssen und womöglich
verboten werden.

jetzt.sueddeutsche.de/texte

„So wird behauptet, in dem Spiel „Counterstrike“
liefen Passanten herum, man könne auf Kinderwagen und Omas schießen. Nichts
davon stimmt. „Wer möglichst viele Frauen vergewaltigt, gewinnt“, heißt es
über das Spiel „GTA San Andreas“. Tatsächlich ist auch das Unsinn.“

www.welt.de/webwelt/

Zusammenschnitt eines Studenten, den die Fehler in der Berichterstattung im TV aufgezeigt werden: www.youtube.com/watch?v=R9JRm3iQQak

„Wir als Schüler-Community haben gegenüber unseren Mitgliedern und
gegenüber Eltern, aber auch Pädagogen eine große Verantwortung. Um
dieser gerecht zu werden, muss sich bei uns jedes neue Mitglied einem
Verhaltenskodex unterwerfen, der den vollkommenen Verzicht von
Killerspielen beinhaltet. Nur so können wir Veränderungen direkt an der
Basis bewirken.“

www.gamers.de/news/3

[www.gamestar.de]
[G.A.M.E.]
[www.heise.de]
[www.golem.de]
[oe1.orf.at/]
[www.4players.de]
[www.gefuehlskonserve.de]
[www.heise.de/newsticker]
[www.dreisechzig.net]
[jetzt.sueddeutsche.de]
[www.welt.de/webwelt]